Der Unterhals von Pferden und was er uns verrät
Der Unterhals von Pferden - jeder Reiter kennt und fürchtet ihn. „Du musst deinem Pferd den Unterhals wegtrainieren! Wenn er so läuft, drückt er den Rücken weg und stützt sich total auf den Unterhals. So kann er gar nicht richtig Untertreten!“ hört man dann häufig den gut gemeinten Ratschlag von Stallgenossen.
Wenn man im Internet die Schlagworte „Pferd“ und „Unterhals“ eingibt, häufen sich die Forenbeiträge und Tipps, wie man das Training des Pferdes anpassen muss, damit sich der Unterhals in Luft auflöst.
Dröseln wir die ganze Sache mal von vorne auf.
Einen Unterhals findet man nicht nur bei Rassen, die in eine hohe Aufrichtung gezüchtet werden, wie beispielsweise Friesen, Araber oder auch Isländer. Auch das 8 jährige Warmblut von Nebenan zeigt am Putzplatz oder unter dem Sattel mit erhobenem Kopf einen Unterhals, meistens in Kombination mit einem hohlen Rücken. In den Forenbeiträgen ist die Rede davon, dass der Unterhals zu stark bemuskelt (genauer gesagt sei der „M. brachiocephalicus zu stark trainiert“) und das die Folge einer zu schwach bemuskelten Hinterhand sei. Häufig werden im selben Satz noch der M. omotransversarius und der M. sternomandibularis erwähnt, die auch eine Rolle, wenn auch eine kleine, spielen sollen.
Werfen wir einen genaueren Blick auf die genannten Muskeln.
Der M. sternomandibularis zieht vom Brustbein zum Unterkiefer und hat die Funktion den Kopf und den Hals nach unten bzw. zur Seite zu ziehen.
Der M. brachiocephalicus geht vom Schläfenbein bis an den Oberarm und zieht den Kopf ebenfalls zur Seite oder nach unten wenn das Pferd steht, in der Bewegung ist er dafür zuständig das Bein nach vorne zu führen, wenn der Kopf durch den Reiter festgestellt wird.
Der M. omotransversarius zieht vom 2. - 4. Halswirbel ebenfalls an den Oberarm und erfüllt die selben Aufgaben wie die beiden vorherigen Muskeln: Entweder zieht er den Kopf und den Hals zur Seite bzw. nach unten oder er führt das Bein nach vorne.
Hauptsächlich sei es jedoch des M. brachiocephalicus, der die dicke Ausbuchtung am Hals bildet und zu stark trainiert bzw. aufgebaut sei. Soweit so gut. Als Grund für den Unterhals wird genannt, dass das Pferd nicht über den Rücken gehe, nicht in die Dehnungshaltung finde und vor allem eine Zeit lang falsch trainiert wurde und es somit nie gelernt habe, den Rücken korrekt aufzuwölben. Somit würde es mit durchgedrücktem Rücken und gleichzeitig angespannter Unterhalsmuskulatur laufen, um Schmerzen im Rücken oder einer zu harten Reiterhand auszuweichen. Das Pferd stemme den Hals mit den genannten Muskeln nach oben.
Beobachtet man Pferde, bei denen ein solcher Unterhals auffällt, auf der Weide oder in der Box, so fällt sehr schnell auf, dass sie häufig mit hoch erhobenem Kopf darstehen. Die hoch erhobene Kopfhaltung ist bei Pferden immer ein Anzeichen von Stress, da sie so einen guten Überblick über ihre Umgebung haben und mögliche Gefahren früher warnehmen.
Wenn ein Pferd unter dem Reiter den Rücken aufgrund von Schmerzen wegdrückt, nimmt es automatisch den Kopf nach oben. Sobald es den Kopf runter nimmt, hebt sich der Rücken aufgrund der Bänder der Wirbelsäule an und der Schmerz im Rücken (eventuell durch einen falschen Sattel verursacht) nimmt zu. Also läuft es mit erhobenem Kopf und durchgedrücktem Rücken mehr oder weniger „unter dem Reiter weg“.
Dadurch, dass die Muskeln der Oberlinie (die Muskeln die oberhalb der Wirbelsäule sitzen und den Kopf nach oben ziehen wenn sie sich anspannen) ständig arbeiten, verspannen und verkürzen sie sich, was eine Übersäuerung und ein Abbau der Muskulatur aufgrund von Minderversorgung nach sich zieht. Sobald die Muskulatur der Oberlinie verspannt ist, wird die gesamte Halswirbelsäule des Pferdes nach unten „rausgedrückt“ - wenn jetzt noch die Aufhängung der Halswirbelsäule, der M. serratus ventralis cervicis, schwach ist und die Wirbelsäule aufgrund des ständigen Druckes der Muskulatur der Oberlinie nicht halten kann, entsteht das klassische Bild eines Unterhalses.
Der Unterhals ist keine zu stark ausgebildete Muskulatur - sondern Knochen, der aus seiner physiologischen Haltung und nach unten raus gedrückt wird. Die Muskulatur, die die Wirbelsäule normalerweise gegen die Schwerkraft oben hält, ist völlig überlastet, dadurch verspannt und kann somit nicht korrekt arbeiten!
Was sind die Folgen von einem Unterhals?
Die Muskulatur der Oberlinie verspannt und kann nicht mehr physiologisch genutzt werden. Durch die verminderte Nutzung sinkt die Durchblutung und dadurch die Versorgung der Muskulatur mit Nährstoffen und vor allem Sauerstoff. Als Folge der Minderversorgung baut die Muskulatur ab, sie atrophiert. Die Verspannung selbst setzt sich auf die Rückenmuskulatur und die Muskulatur der Hinterhand fort und zieht auch die die Muskeln umgebenden Faszien mit in die Verspannung. Das Pferd wird steif, es mag sich nicht biegen, kann nicht gut untertreten und hat Schmerzen.
Durch die angespannte Halsmuskulatur spannen sich auch die Muskeln um das Genick und die Kiefergelenksmuskeln mit an, da das Pferd im Genick nicht nachgeben kann und gleichzeitig das Maul geschlossen halten möchte. Die unphysiologische Stellung der Halswirbelsäule zieht Blockaden zwischen den einzelnen Wirbel nach sich, da die Zwischenwirbelgelenke vor allem im zweiten Kopfgelenk und im Übergang zwischen Hals- und Brustwirbelsäule gestaucht werden. Diese Blockaden ziehen wieder weitere Einschränkungen nach sich. Zusätzlich kommt ein psychischer Stress des Pferdes dazu, da die hohe Kopfhaltung eigentlich ein Alarm- und Fluchtzustand ist und der Körper sich durch Hormonausschüttung auf eine mögliche Flucht vorbereitet.
Was kann man gegen einen Unterhals tun?
Als aller erstes muss Ursachenforschung betrieben werden: Ist der Sattel nicht richtig angepasst und verursacht Schmerzen im Rücken? Hat das Pferd nie gelernt Kraft in der Hinterhand aufzubauen und über den Rücken zu gehen? Hat es Dauerstress weil der Boxennachbar nervt oder wird es in der Herde nur gescheucht? Reitet man selber mit zu harter Hand? Stressfakoren müssen abgestellt werden, Equipment muss angepasst werden.
Das wichtigste ist es, die verkrampften Muskeln in die Entspannung zu bringen. Ein Muskel kann sich nicht von alleine wieder lösen wenn er verkrampft ist, er bleibt so lange in dieser Verkürzung, bis er gedehnt wird. Wenn das Pferd in die Dehnungshaltung und vorwärts-abwärts gebracht wird, kann sich der Hals strecken und durch das Nackenband wird der Rücken angehoben und stabilisiert. Das Genick entspannt sich. Ausbinder oder andere Hilfszügel sind an dieser Stelle übrigens nicht angebracht. Solange das Pferd sich nicht selber tragen kann, bringt es nichts den Kopf runter zu schnallen - somit wird weder eine Dehnungshaltung erreicht, noch eine Entspannung der verkrampften Muskeln. Wird der Pferdekopf lediglich an die Senkrechte zurück gezogen, wird der Hals künstlich verkürzt und das Pferd wölbt ihn nicht selbstständig auf. Dies verschlimmert die Problematiken zwischen den Halswirbeln, welche oben beschrieben sind.
Ist die Verspannung und Verkürzung der Oberlinie und damit das Heraustreten der Wirbelsäule zu ausgeprägt, sollte man vom Boden aus damit beginnen, das Pferd zu entspannen und aufzubauen. Longieren am Kappzaum in Dehnungshaltung, Dehnübungen mit Hilfe von Leckereien, Massagen und Spaziergänge bergab am langen Strick sind dann das erste Mittel der Wahl, später sind Übungen wie Cavaletti-Training, Rückwärtsrichten und Trabarbeit zum weiteren Muskelaufbau angeraten.
Man muss ein Gleichgewicht zwischen den Muskeln unterhalb der Halswirbelsäule und den Muskeln oberhalb der Halswirbelsäule schaffen und gleichzeitig den Rumpftrageapparat trainieren, damit er die Wirbelsäule stützen und die Halsbasis anheben kann.
Um einem Unterhals entgegen zu wirken, ist eine Zusammenarbeit zwischen Therapeut und Besitzer essentiell.